Düstere Frau – Oscar-Star Trine Dyrholm gastiert in der Berliner Volksbühne
Als der dänische Film „In einer besseren Welt“ in diesem Jahr den Oscar und den Golden Globe für den besten nichtenglischsprachigen Film erhielt, bekam er ihn vor allem auch wegen des intensiven Spiels von Trine Dyrholm. Dänemarks Ausnahmeschauspielerin, die in ihrem Heimatland auch eine bekannte Sängerin und Songwriterin ist, spielt darin eine von Konflikten zerrissene Ehefrau. Doch bevor sie auf lange Zeit nur in Filmen zu sehen sein wird, ist sie in einem Gastpiel von Sarah Kanes „4.48 Psychose“ in Berlin zu sehen. Maximilian Grosser mit einem Beitrag über Trine Dyrholm und ihre Version des düsteren Dramas.
Nur mit einem Spot angestrahlt sitzt Trine Dyrholm auf einer kleinen Bühne, hinter ihr eine Videoprojektion, die sie doppelt und ihre Bewegungen in grün-schwarzer Ausleuchtung grotesk überbetont. Kräftezehrend zählt die dänische Schauspielerin grausige Formen der Selbstverletzung auf – schlagen, schlitzen brennen sind nur einige davon. Sie spricht den Monolog einer schmerzvollen Tortur. Er soll eine letzte Chance für das Gespür ihres zerbrechlichen Körpers offenbaren.
Sarah Kanes letztes Theaterstück „4.48 Psychose“ ist nicht einfach auf die Bühne zu bringen. Denn es macht keine Angaben über Räume oder Figuren. Wer spricht, lässt sich nur knapp skizzieren. Eine Patientin, ein Arzt und ein sich auflösendes psychotisches Bewusstsein sind in dem Text auffindbar. Trotzdem spielt Trine Dyrholm die Inszenierung allein, unterstützt von Videoprojektionen auf einer Wand hinter ihr und dem Boden unter ihr. Sie zeigen den Arzt anonymisiert nur im Brustporträt mit Kittel oder die Animation eines Getriebes von Zahnrädern, das die Darstellerin bedrohlich umfließt. Zusammen mit dem Regisseur und Produzenten Jakob Schokking von der dänischen Theaterkompanie Holland House hat sie eine sehr reduzierte, sehr visuelle, aber umso erschütterndere und aufwühlende Inszenierung kreiert.
Wir haben eine sehr choreographierte Version des Stücks gemacht und mit Licht, mit Sound und Bildern gearbeitet. Und das hilft mir, diese ganz großen Gefühle des Textes in einen Rahmen zu setzen. Es ist ein sehr spezieller Text, der fast wie eine Musik ist, wie eine Partitur. Deswegen haben wir dieses Stück auch mit sehr großer Musikalität ausgestattet, der Regisseur hat anfangs wie ein Dirigent gearbeitet.
Deshalb wirken die starken und zermürbenden Emotionen von Verzweiflung, Selbstverlust und Hoffnungslosigkeit, die das Stück tragen, wie in ein Register gesetzt. Das schützt diedänische Ausnahmeschauspielerin Dyrholm allzu stilisiert zu spielen oder mit zu starken Gesten in Klischees abzugleiten.
Ich habe mit der Produktion neues Land betreten und neue Arten des Schauspiels entdeckt. Das Stück ist eine sehr präzise Anweisung, die man nur präzise spielen kann. In jede Aufführung gehe ich mit Leben hinein und es ist am Ende wie ein freier Fall, als wenn ich sterben würde. Ich lebe mich in den Text, in das Gefühl und in den Rhythmus ein, ich habe aber weniger an die Situation Sarah Kanes gedacht, so habe ich mich dem Stück nicht genähert.
Trine Dyrholm hat schon oft düstere Frauenrollen wie in „4.48 Psychose“ gespielt, die von inneren Konflikten zerrieben werden. Ihre Figuren scheinen immer am Rand einer Zerreißprobe zu stehen, die dennoch kühl und abgeklärt wirken. Dieses essentielle Schauspiel hat sie von den Ikonen der dänischen DOGMA-Bewegung, Thomas Vinterberg und Susanne Bier gelernt. Vinterbergs Film „Das Fest“ und Biers Oscar prämiertes Werk „In einer besseren Welt“ waren für sie eine Art erweiterte Theaterausbildung.
Als wir „Das Fest“ gedreht hatten, war es fast wie Theater, weil wir alle vom Theater kamen. Wir haben viel improvisiert und zeitgenössische Dramen produziert, das war wie der DOGMA-Stil, wo man nie weiß, wo die Kamera ist. Und so arbeitet auch Susanne Bier. Man spielt die Szenen immer und immer wieder, man kann seinen Charakter nicht verlassen.“
Doch die Rollen lässt sie im Alltag hinter sich, deren Konflikte und Schmerz trüben sie nicht. Im realen Leben ist sie eine herzlich lachende Frau – ganz das Gegenteil der ihr verkörperten seelischen Abgründe ihrer Figuren.
Produziert für Radio Bremen/Funkhaus Europa, 2.12.2011