Klassenkampf Reloaded
Der Philosoph Slavoj Žižek über sein neues Buch und den Umgang mit Flüchtlingen
Slavoj Žižek ist Philosoph, Kulturkritiker und eingefleischter Marxist. Kein anderer europäischer Philosoph gilt international so sehr als Popstar des Denkens wie der Slowene. Ein Grund dafür sind seine vielen Bücher, die in regelmäßig kurzen Abständen erscheinen. Rund siebzig hat der inzwischen 66jährige schon veröffentlicht. Viel seiner Schriften sind begehrt, auch weil sie ein Remix aus Anekdoten, aktuelle Ereignisse und philosophisches Denken sind. So auch sein neuestes Buch, eine Streitschrift, die mit ihrem Namen schon so manchen Schrecken verbreitet: „Der neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror“. Ein Beitrag von Maximilian Grosser.
Kommunismus und Klassenkampf – aber keine Revolution. Auf drei Reizwörter aus dem 19. Jahrhundert lässt sich Slavoj Žižeks aktuelle Streitschrift zurückführen. Angestaubte Begriffe, mit denen sich unsere heutige Realität von Flüchtlings- und Finanzkrise, Terror und Neoliberalismus nicht mehr begreifen lässt, will man meinen. Doch, doch ruft Žižek uns laut mit seinem neuen Buch entgegen. Selbst ein neues Proletariat hat er schon ausgespäht.
Die ursprüngliche Bedeutung von Proletariat meint nicht die Arbeiterklasse. Im antiken Rom bezeichnete man damit freie Menschen ohne Besitz. Und für mich sind all jene Proletarier, die an einem Nullpunkt der Gesellschaft stehen, die von ihr ausgeschlossen sind.
In einer Zeit, in der selbst das Angestelltendasein ein Privileg ist, die Ausbeutung nicht mehr von Kapitalisten, sondern schlicht von einem selbst ausgeht, so argumentiert Žižek, verläuft die immer feiner gezogene Frontlinie nicht mehr zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie. Der Zugang zu Wohlstand zieht die neuen Schützengräben in der Gesellschaft – in Europa wie in Afrika. Die, denen er verwehrt wird, zählt Žižek zu den neuen Proletariern: Elends-, Klima- und Kriegsflüchtlinge ebenso wie prekär beschäftigte Akademiker. Daraus ergibt sich der neue Klassenkampf, den Hollywood längst unterhaltsam bebildert.
Hollywood ist besessen davon, dass uns eine neue postapokalyptische Zeit erwartet, wie in den Filmen ‚Elysium’ und ‚Hunger Games’ gezeigt wird. Da geht es um die, die dazu gehören und um die Ausgeschlossenen. Und das ist es, was ich provokant mit dem alten Begriff ‚Klassenkampf’ bezeichne. Es geht nicht mehr um das Kapital versus Arbeiterklasse. Es ist ein viel fundamentalerer, sozialer Konflikt. Und das sieht man auch bei Flüchtlingskrise, die auf diesem Konflikt zwischen Dazugehören und Ausgeschlossensein zu tun hat.
Mit den Kampfbegriffen linker Theorie des 19. Jahrhunderts will Žižek Schockmomente inszenieren und die Begriffe gleichzeitig entstauben. Und so taucht in seinem Buch „Der neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror“ immer wieder das Gespenst des Kommunismus auf, das gar keins mehr ist.
Der übliche Begriff ist demokratischer Sozialismus. Aber das ist zu verwirrend. Sozialist nennt sich jeder, der sich ein bisschen um die Gemeinschaft sorgt. Und ähnlich ist es mit Demokratie. Mit der kann man auch militärische Interventionen begründen. Der Grund, warum ich also von Kommunismus spreche, hat damit zu tun, dass alle Probleme die wir heute haben, mit den Gemeingütern zu tun haben, wie sie Marx definierte. Also Natur als Gemeingut des Überlebens, zum Beispiel. Die kann man nicht allein dem Markt überlassen. Darin ist der neue große Kampf zu sehen: der ist nicht antikapitalistisch, aber gegen TTIP und TISA, weil über unsere Gemeingüter entschieden wird.
Es sind keine besonders neuen Weisheiten, auf die Žižek setzt und zu einer weiteren Ausgabe seiner philosophischen Remixe aus politischen Ideen, Anekdoten und Alltagsbeobachtungen vermischt. Neu ist aber, dass er damit den Blick auf die Flüchtlingskrise und ihre Ursachen schärft. Die radikale Ausbeutung von Menschen und Gemeingütern ist die wahre Fluchtursache. Terror eine extreme, vulgäre Ausdrucksform gegen die Mechanismen wirtschaftlicher und politischer Interessen. Damit rüttelt Žižek auch an den Tugenden linken humanitären Denkens: Mit Solidarität, Mitgefühl und Nächstenliebe ist die Flüchtlingskrise nicht zu lösen, sie machen sie sogar noch schlimmer.
Deswegen reagiere ich so allergisch auf einen humanitären Ansatz: oh, das sind arme Menschen, die nach Europa kommen, das sind gute Menschen, wir müssen ihnen helfen. Nein, es gibt nichts Edles an Armut, sie ist beleidigend. Und deshalb müssen wir das ganz simpel sehen. Und ich weiß, es klingt bombastisch: Wir müssen die Gründe bekämpfen, die Art wie wir mit Dritte-Welt-Ländern verfahren, politisch und wirtschaftlich. Dort müssen wir die Dinge ändern und nicht dieses humanitäre Spiel spielen.
„Flüchtlinge sind der Preis der globalen Wirtschaft“, schreibt Žižek. Die Linke sollte sich dieses Probleme bewusst werden und zudem die Ängste der ‚kleinen Leute’ nicht aus den Augen verlieren.
Ich habe eine Reportage über einen Farmer an der kroatisch-slowenischen Grenze gelesen. Bei dem standen eines morgens plötzlich tausende Flüchtlinge auf dem Feld. Klar hatte er Angst, auch mich würde das panisch machen. Und ein paar arrogante Linke aus Ljubljana bezeichnete ihn wegen seiner Ängste als Neofaschisten. Wir müssen diese Ängste ernst nehmen. Wenn wir das nicht tun, dann haben wir in einigen Jahren Le Pen und Pegida an der Macht.
Slavoj Žižeks neues Buch klingt zornig und spinnt die Utopie einer neuen Klasse der Unterdrückten, die aufsteht gegen die Verwerfungen des globalen Kapitalismus. Ein schwerer Kampf – denn auch Žižek weiß nicht so genau, wo und mit wem er konkret beginnen kann.
Produziert für BR 2 Kulturwelten, 24.12.2015