Ukrainische Kulturschaffende und der Krieg im Donbass
Im Osten der Ukraine herrscht Krieg – so berichten es ukrainische Kulturschaffende. Vor ihren Augen – egal ob im westukrainischen Lviv, dem früheren Lemberg, oder im ostukrainischen Charkiw: überall spielen sich vor ihren Augen die gleichen Tragödien der Flüchtlinge und Kriegsopfer ab. Gleichzeitig tobt ein Informationskrieg, in dem Künstler und Schriftsteller um die Wahrheit kämpfen und versuchen sich gegen Propaganda mit Wahrheit zu wehren. Allerdings: welche Rolle spielt das Wort in Zeiten des Kriegs? Kann Kunst Motor für den gesellschaftlichen Wandel sein? Ein Beitrag von Maximilian Grosser
Das Markenzeichen des Kulturzentrums Izolyatsia ist ein pinker Lippenstift. Er thront übergroß auf einem riesigen Schornstein neben einer Werkshalle. Früher wurden in der Fabrik im ostukrainischen Donezk Isolierstoffe für die gesamte Sowjetunion gefertigt. Seit 2010 hatte hier ein einzigartiges unabhängiges Zentrum für zeitgenössische Kunst seine Basis. Jetzt ist es das Hauptquartier des Paramilitärs.
Unser Gelände war eines der ersten, das in der Stadt überfallen wurde, vor allem weil es größten Bunker hat, auch weil die Lagerhäuser adäquat sind. Wir sind nicht nur gut für Kunst, aber auch für Krieg offensichtlich.
...sagt Anna Agafonova, Kulturmanagerin bei Izolyatsia. Seit Pfingstmontag sind die Ateliers und Galerien der international bekannten und gut vernetzten Kulturinstitution geschlossen. Sie wurde besetzt von Schergen der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“. Für die Kunst auf dem Gelände haben die Besatzer nichts übrig – zeitgenössische Kunst halten sie für degeneriert, für entartet.
Das ist eine Tragödie für uns, weil sehr viele Kunstwerke sind einfach ins Gelände eingebaut, man kann sie nicht demontieren, wir können sie nicht einfach von der Wand nehmen und irgendwohin bringen, sie gehören dort hin.
In Kiew hat deshalb die Kulturinstitution Izolyatsia Exil in einer Werkshalle bezogen. Hier wollen sie ein Zentrum für Donbas-Studien aufbauen als Archiv, das die Kultur der ostukrainischen Industrieregion bewahrt und alle wichtigen Informationen aus dem besetzten Gebiet sammelt. Sollte der Krieg im Donbas einmal vorbei sein, will Izolyatsia als Think Tank beim Wideraufbau helfen. Jetzt sind sie erst einmal in Kiew Treffpunkt für Flüchtlinge aus dem ostukrainischen Kriegsgebiet.
Wir machen besondere Versammlungen, die heißen Tormozok-Partys. Wenn sie nicht aus dem Donbas sind, können sie nicht verstehen, was für eine Party das ist. Das ist Arbeiterkultur. Dazu rufen wir Menschen auf, mit ihrem einfachen Essen zu uns zu kommen. Und das ist ganz einfach ein Stück Brot, irgendein Speck, Knoblauch, dass ist was wirklich, was Bergleute gegessen haben.
Partys für Donbas-Flüchtlinge, auf denen sie den Krieg hinter sich lassen können – Izolyatsia macht Kultur zur Gruppentherapie gegen die Krisenalltag. Auch die unkraineweit bekannte Kompanie Arabesky betreibt eine Art Theaterheilanstalt im ostukrainischen Charkiw. Maria Zaichenko ist so etwas wie die Intendantin von Arabesky – und hält dokumentarisches Theater über die Geschichte der Ukraine für die beste Medizin in Zeiten des Kriegs.
Unsere Mission ist es, einen Dialog zwischen Menschen mit verschiedenen Überzeugungen und auch mit verschiedenen Traumata herzustellen. Der Konflikt ist noch sehr nah. Aber interessant ist, dass sich viele Sachen der Geschichte wiederholen. Eines unserer Stücke handelt vom ukrainischen Nationalismus, der 1943 zum Wolhynien-Massaker mit tausenden toten Polen führte. Vor kurzem haben wir das Stück für freiwillige Helfer und für Kriegsverwundete gespielt. Nach der Vorstellung gab es eine Diskussion. Wir waren überrascht, wie aktuell das alles ist. Wir mussten feststellen, dass wir uns heute mit den gleichen Fragen beschäftigen. Was ist unsere Nation, was ist unsere Identität?
Mariya Zaichenkos Dokumentartheater ist ein Versuch Brücken zu bauen, auch zwischen verfeindeten politischen Lagern. Wichtiger in Kriegszeiten allerdings sei auch der Kampf um Wahrheit, betont Serghij Zhadan, eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen ukrainischen Litaratur.
Im Moment befinden wir uns in einer sehr interessanten aber auch dramatischen Epoche unsere Geschichte, in der sich die Gesellschaft neu formiert. Natürlich müssen in einer solchen Situation die Stimmen der Autoren zu hören sein, Schriftsteller haben kein Recht zu schweigen. Es gibt zurzeit sehr viel Propaganda, die die Wahrheit verwässert und verschwommen darstellt. Vielleicht sind es die Künstler die den Moment wahrheitsgemäß fixieren können.
Deshalb sucht Zhadan seine Geschichten bei ganz normalen Menschen, bei den Kriegsopfern, den Flüchtlingen und den vielen Freiwilligen, die die Aufgaben übernehmen, die der Staat nicht mehr erfüllt. Nur so lässt sich der ukrainische Kriegsalltag begreifen.